Leben mit einem Tinnitus

Ich erinnere mich an den Tag, als der Arzt das Wort aussprach: "Tinnitus". Für einen Moment stand die Zeit still. Ich hörte nur noch das Pochen meines eigenen Blutes in den Ohren. In diesem Augenblick zerbrach die Welt in mir: die Gewissheit, dass mein Leben so bleiben würde, wie es war und bin erst einmal komplett in Tränen ausgebrochen. 

 

Diese Zeilen sind meine ganz persönliche Geschichte; jeder Betroffene erlebt seinen eigenen Weg.

Aber erst einmal zum Anfang: 

 

Es war ein ganz gewöhnlicher Tag im Büro, als mich plötzlich inmitten eines Telefonats ein laut werdendes Rauschen in beiden Ohren überkam. Plötzlich konnte ich die Stimme meines Gegenübers nicht mehr verstehen und in mir stieg Panik auf. Es wurde zwar wieder leicht besser, aber ging nicht ganz weg. Also packte ich meine Sachen, klärte es mit meiner Chefin, die meinte es wäre ein Hörsturz und bin ab zum Arzt. 

 

Im Wartezimmer des Arztes versuchte ich, zu erklären, wie dringlich das Gefühl war, nichts mehr richtig hören zu können. Doch er winkte das Symptom mit den Worten „Ganz klar ein Paukenerguss“ ab und meinte das es wieder wird. In dem Moment empfand ich große Verunsicherung: Ein Hörsturz erfordert sofortige Kortison-Infusionen, hatte ich gelesen. Aber ich verließ die Praxis mit dem Gefühl, nicht ernst genommen worden zu sein und das Rauschen ging nicht weg. 

 

Erst nachdem das Rauschen auch am nächsten Tag nicht richtig nachließ, bzw. sich auf das linke Ohr verlagerte, bin ich doch zum Facharzt (HNO)  - Er machte einen Hörtest, der nicht sehr positiv war und verschrieb mir ein Medikament für die Durchblutung. Leider war eine hochdosierte Kortison Therapie nicht mehr möglich und hätte auch nicht angeschlagen, da es leider zu "spät" dafür war und es schon im Anfangsstadium hätte gemacht werden müssen. Nachdem das Medikament auch nicht angeschlagen hat, ging ich mit der Diagnose "Tinnitus" im linken Ohr nach Hause und musste damit klar kommen. 

 

Dieser Unterschied zwischen Abwinken und schneller Therapie hat mir wieder gezeigt, dass man sich auf nichts verlassen kann – und dass man als Betroffener sofort Hilfe einfordern und hartnäckig bleiben muss.

Der Kampf um jeden Atemzug

Es gibt Momente, in denen ich schreien möchte – nicht gegen andere, sondern gegen das Geräusch selbst. Stattdessen atme ich tief ein, versuche, mich auf meinen Atem zu konzentrieren und nicht aufzugeben. 

 

Ja, ich weine. Manchmal unkontrolliert, mitten im Supermarkt oder im Restaurant oder einfach so daheim wenn das Geräusch keine Ablenkung findet. Es ist mal da und mal weg, mal laut, sehr laut und mal leiser. Je mehr man sich stresst, desto lauter wird er. Das schlimme ist, man hat keinen Einfluss drauf, man kann ihn nicht selbst regulieren oder stoppen  -  er kommt und geht! 

 

Wenn der Tinnitus stärker wird, schleicht sich oft auch schlechte Laune ein: Jeder Ton im Ohr wirkt dann wie ein Stachel in der Stimmung. Man wird schneller gereizt, ist ungeduldig – und selbst kleine Dinge lösen Frust aus. Müdigkeit und Konzentrationsprobleme verstärken den Ärger, weil man das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren. Gerade an solchen Tagen hilft es, bewusst kurze Pausen einzulegen und sich selbst zu reflektieren. 

 

Ich habe gelernt, dass Selbstfürsorge kein Luxus ist, sondern eine Notwendigkeit. Wenn das Geräusch mich quält, versuche ich mich mit Podcast, Musik, meiner Familie, im Garten abzulenken - gelingt mir leider nicht immer und ich versuche dann nur durch den Tag zu kommen. Es ist einfacher aufzugeben, als weiter gegen diesen unsichtbaren Gegner zu kämpfen. Es ist auch leichter gesagt als getan, ignoriere ihn, denk an was anderes, überhöre ihn einfach, vergesse ihn. Wer daran leidet, weiß was ich meine. 

Leben damit

Tinnitus mag mein ständiger Begleiter im Leben sein, aber er definiert mich nicht. Ich bin mehr als dieses Geräusch in meinem Kopf, in meinem Ohr. Ich bin Lachen, Tränen, Wut, Freude und alles dazwischen. Und ich weigere mich, mich allein von einem Geräusch besiegen und unterkriegen zu lassen. Gelingt mir leider nicht immer :( 

 

An alle, die das hier lesen und selbst betroffen sind: Fühlt eure Verzweiflung. Lasst die Tränen fließen, zeigt eure Gefühle und redet darüber. Und steht dann wieder auf! Es gibt Wege, die Lebensqualität trotz Tinnitus zu steigern.

Tipps & Strategien

  • Geräuschtherapie: Ob White Noise, Naturklänge oder beruhigende Musik – mit gezielten Klangquellen schaffe ich mir Momente der Ablenkung und Ruhe.

  • Entspannungsverfahren: Atemübungen, progressive Muskelentspannung und Achtsamkeitsmeditation reduzieren Stress und helfen, innere Anspannung abbauen.

  • Alltagsstruktur: Feste Rituale morgens und abends – vom bewussten Aufwachen bis zur Schlafvorbereitung – geben meinem Tag Stabilität und Sicherheit.

  • Austausch & Selbsthilfegruppen & Psychotherapie: Gemeinsam über Ängste, Erfolge und Rückschläge sprechen stärkt den Zusammenhalt und erweitert den Erfahrungsschatz. Verhaltenstherapie. 

vier sitzende Menschen und einer liegend auf einer Matte für Entspannungsübung - Illustration KI generiert

Was ist denn ein Tinnitus und woher kann er kommen?

Tinnitus beschreibt das Wahrnehmen von Geräuschen (Pfeifen, Rauschen, Brummen) ohne äußere Schallquelle. Für Betroffene kann dieses Phänomen zu Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen und seelischer Belastung , bis hin zum Suizid führen. 

  • Lärmschäden und Altersschwerhörigkeit (z. B. laute Musik, Maschinenlärm) schädigt die feinen Haarzellen in der Hörschnecke. 
  • Ohrenerkrankungen und Mittelohrprobleme Entzündungen, Paukenerguss (Flüssigkeitsansammlung hinter dem Trommelfell) oder andere Ursachen
  • Medikamente 
  • Durchblutungsstörungen
  • Kiefer- und Halswirbelsäulenprobleme
  • Stress und psychische Faktoren

"Kann muss aber nicht!"

Gebt nicht auf! Auch wenn es an manchen Tagen wirklich schlimm ist und man daran verzweifelt. Lasst Euch nicht vom Tinnitus knechten!